Was ist das? Wie äußert sich das?
Vielleicht hast du dich auch schon oft gewundert, dass bestimmte Ereignisse (Reaktionen) und Beziehungsmuster sich endlos in deinem Leben wiederholen und obwohl dir das bewusst ist, scheint es, dass du keinen Einfluss darauf hast?...
Oder dass du bewusst das Verlangen nach Liebe, Nähe, Intimität, Selbstverwirklichung und erfüllter Sexualität hast und alles dafür tust, es klappt aber irgendwie nicht?
Oder du hast schon ganz viele Therapien hinter dir, die aber nicht die gewünschten Veränderungen mit sich bringen.
Entwicklungstrauma könnte hier ein unterschätztes Hindernis sein.
Hier möchte ich einen kurzen Einblick in das Thema Entwicklungstrauma geben. In diesem Artikel erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn das Thema ist viel komplexer und
vielschichtiger, als das, was ich hier beschreibe.
Entwicklungstrauma ist ein relativ neuer Begriff, der meiner Meinung nach viel mehr Aufmerksamkeit verdient, da es die meisten von uns betrifft. Unter Trauma wird oft nur das Schocktrauma
verstanden, das durch ein oder mehrere plötzliche Ereignisse (wie Krieg, Unfall, Naturkatastrophe etc.) entsteht.
Entwicklungstrauma entsteht durch kontinuierliche, sich wiederholende negative Erfahrungen in der Kindheit, die nicht zwangsläufig nur mit Gewalt einhergehen, sondern auch mit der Vernachlässigung grundlegender Bedürfnisse, Bindungsabbruch, mangelnder emotionaler und körperlicher Nähe. Die Auswirkungen davon sind etwas anders als bei Schocktrauma, aber nicht weniger gravierend. An erster Stelle beeinflusst Entwicklungstrauma unsere Beziehung zu uns selbst, unserem Körper und zu anderen.
Unsere biologischen Grundbedürfnisse und Kernfähigkeiten, die damit verbunden sind, lauten laut NARM (Neuroaffektives Beziehungsmodell nach Laurence Heller):
Wenn diese vernachlässigt werden oder wenn wir sogar Gewalt oder Missbrauch erfahren, dann erleben wir die Außenwelt als gefährlich und unzuverlässig. Das hat massive Auswirkungen auf unseren Körper, die Entwicklung des Nervensystems, unsere Emotionen, unsere Identität und auch auf unsere Beziehungen zu uns selbst und anderen Menschen.
Auf emotionaler Ebene:
Wenn unsere Grundbedürfnisse regelmäßig vernachlässigt werden und wir keine oder zu wenig emotionale Bindung, Zuwendung, Sicherheit und Liebe in den Beziehungen zu unseren Eltern erfahren, dann erleben wir als Baby oder als kleines Kind eine Menge an Emotionen: Protest, Wut, Hass, Trauer, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht usw. Wenn unsere Umgebung nicht angemessen auf unsere Emotionen reagiert und/oder uns sogar dafür bestraft, bleiben wir alleine damit. Die energetische Ladung, die Emotionen beinhalten, ist ziemlich hoch und überfordernd für ein Baby. Deswegen sucht unser Körper und Nervensystem nach Möglichkeiten, damit umzugehen.
Zwei mögliche Bewältigungsmechanismen, die uns zugänglich sind, sind entweder uns von den Emotionen komplett abzuschneiden/sie abzuspalten oder sie aus- (auf unsere Umgebung) oder einzuagieren (in Form von Selbstkritik, Selbstvorwürfen). Das trennt uns von uns selbst und auch von unserer Lebensenergie.
Emotionen sind da, weil sie uns etwas über unsere Bedürfnisse und über uns selbst mitteilen wollen.
In den Sitzungen lernen wir, die Emotionen wieder wahrzunehmen und ihre Botschaft zu verstehen. Als Kinder konnten wir das nicht, als Erwachsene schon.
Auf körperlicher Ebene:
Wenn wir unsere Umgebung als gefährlich und unzuverlässig erfahren, reagiert unser Körper entsprechend.
Die natürliche Körperreaktion auf Gefahr ist Kampf, Flucht oder Erstarrung (wie bei Schocktrauma). In manchen Quellen wird auch eine vierte Reaktion erwähnt: die sogenannte Fawn Response oder "zwanghaftes Nettsein".
Leider bleiben diese Reaktionen in einem nicht voll ausgebildeten Nervensystem eines Kindes oder Säuglings stecken und auch wenn die reale Gefahr vorüber ist (im Erwachsenenalter), können wir die Gegenwart nicht mehr objektiv einschätzen und reagieren dann oft in verschiedenen Lebensereignissen und vor allem in Beziehungen auf gewohnte Art und Weise: mit Kampf-/Fluchtreaktion oder Erstarrung.
Diese Reaktionen werden chronisch und können zu Verspannungen im Körper, Verzerrungen im Nervensystem und emotionaler Dysregulation führen, was unmittelbar unsere Gesundheit (Hormonsystem,
Bewegungsapparat, Verdauungssystem), Beziehungen, Stressresistenz und emotionalen Zustand beeinflusst. Oft sind uns diese Vorgänge gar nicht bewusst, da das autonome (vegetative) Nervensystem
daran beteiligt ist, auf das wir keinen willkürlichen Zugriff haben.
Wenn dein System in einem defensiven Zustand ist, ist es nicht fähig, neue positive Erfahrungen zu machen und vor allem sie aufzunehmen. Soziale Interaktionen sind ebenfalls unmöglich. Oft
bleiben die schönen Ereignisse und Begegnungen, die wir im Alltag erleben, sogar unbemerkt, weil unser Organismus die Außenwelt als gefährlich einstuft und zu sehr mit dem Überlebenskampf
beschäftigt ist.
Auf Beziehungsebene:
Auf Basis dieser emotionalen und körperlichen Vorgänge entwickeln sich unsere Überlebens- oder Beziehungsstrategien, die uns helfen, mit den überwältigenden Erfahrungen zurechtzukommen und vielleicht doch noch das zu bekommen, was wir brauchen, oder zumindest die Gefahr zu reduzieren. Auch wenn wir uns dafür selbst verleugnen müssen und bestimmte Anteile und Gefühle abspalten müssen.
Diese Überlebens- oder Beziehungstrategien, die uns damals geholfen haben, dazuzugehören und uns zu regulieren oder der Gefahr zu entkommen, sind jetzt die Haupthindernisse für unsere Kontakt-
und Beziehungsfähigkeit. Je nach unerfülltem Bedürfnis entwickeln sich verschiedene Überlebensstrategien und Identifikationen, die mehr oder weniger ausgeprägt sind. Dazu gehören zum Beispiel:
Jedes Mal, wenn wir einer anderen Person nahekommen, projizieren wir unbewusst die Gefahr aus der Vergangenheit auf die Gegenwart und versuchen, mit Hilfe alter Beziehungsstrategien Kontakt mit den Menschen aufzunehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das nicht funktionieren kann und nur frustrierend ist.
Die Bedeutung von Bindung und Kontakt.
„Was in Beziehung tritt, darf heilen“ - Stephan Hausner
Dank Erkenntnissen aus der Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges und der Bindungstheorie von Bowlby wissen wir, dass Bindung und Kontakt für unsere Entwicklung und Selbstregulation äußerst
essentiell und sogar existenziell sind. Bindung und Kontakt vermitteln Sicherheit, Geborgenheit und das Gefühl, dazuzugehören. Sie unterstützen
unsere Selbstregulation und Verbindung zu unserem Körper, unseren Bedürfnissen, Emotionen, zu uns selbst und unserer Umwelt.
Das Nervensystem eines Säuglings oder Kleinkinds ist noch nicht voll ausgebildet, deshalb kann ein Kind sich selbst und seine eigenen Zustände nicht wirklich erkennen und regulieren. Es ist auf eine tiefe emotionale Verbindung mit seinen Eltern angewiesen, denn nur dadurch kann es lernen, sich selbst zu regulieren und zu spüren. Sind die Eltern emotional abwesend oder können das Kind nicht angemessen spiegeln, gerät das Nervensystem des Kindes in Dauerstress.
Wie ich bereits erwähnt habe, wenn das Nervensystem dauerhaftem Stress ausgesetzt ist, ist es nicht in der Lage, neue Erfahrungen aufzunehmen und sich zu regenerieren und zu entspannen.
Der moderne traumatherapeutische Ansatz ist deshalb bindungs- oder beziehungsorientiert, da wir großen Wert auf authentischen Kontakt und Einstimmung während einer Sitzung legen. Diese Verbindung
ermöglicht es deinem Nervensystem, neue positive Erfahrungen von Bindung und Kontakt zu machen, sich zu entspannen und zu lernen, sich auf sich selbst einzustimmen.
Was bringt Bindung und ehrlicher Kontakt:
Der ganzheitliche NARM-Ansatz und andere Methoden, die mit Entwicklungstrauma arbeiten.
All diese Methoden sind nicht regressiv, ressourcenorientiert und finden im Hier und Jetzt statt.
Literatur- und Ressourcenempfehlungen: