Früher dachte ich, dass Heilung und all diese Therapien ein Endziel hätten. Zum Beispiel absolut glücklich zu werden, eine wunderbare, ideale Beziehung zu führen, vollkommen gesund zu werden, in völliger Harmonie zu leben und keine Turbulenzen zu haben.
Doch das Leben zeigte sich mir viel komplexer, als ich es mir vorgestellt hatte.
Mein Plan, mich endgültig zu heilen und vollkommen glücklich zu werden, hat nicht funktioniert. Ich weine und trauere immer noch wie zuvor, manchmal fühle ich Wut, manchmal weiß ich nicht, wie ich in einer Beziehung sein soll, manchmal fühle ich mich verloren und hilflos, manchmal fällt es mir schwer, das zu ertragen, was gerade in der Welt passiert, oder ich verspüre Angst. Und vielleicht wird etwas in mir nie ganz Heil-sein, und ich muss lernen für den Rest meines Lebens damit zu leben.
Es war für mich aber sehr heilsam, den Wettlauf um Heilung zu stoppen. Denn irgendwann habe ich erkannt, dass dieses Rennen auch ein Produkt unserer Leistungsgesellschaft ist, in der ich aufgewachsen bin - ein Plan, Ziele durch Leistungsdruck und Anstrengung zu erreichen. Dabei gibt es überhaupt keinen Raum für die Komplexität und Vielschichtigkeit menschlichen Lebens und Erlebens. Dieses Rennen vereinfacht alles und reduziert unser Menschliches Dasein auf eine weitere Aufgabe, die erledigt werden muss, um ein Ergebnis zu erzielen.
Doch der menschliche Körper, Psyche und das Leben sind keine Aufgaben, die erledigt werden müssen, kein Geschäftsplan, keine Waschmaschine, die repariert werden kann, um wieder funktionsfähig zu sein. Mann kann es nicht auf ein Endergebnis reduzieren. Außerdem wäre es schade, weil es dabei etwas ganz wichtiges verloren geht…
Ich habe etwas entdeckt, das für mich viel spannender ist und mich motiviert, die Tiefen des menschlichen Lebens und der Erfahrungen weiter zu erforschen – und das ist die unglaubliche Schönheit, Einzigartigkeit und Vielschichtigkeit des Lebens im Allgemeinen und jedes Einzelnen. Ich habe den Eindruck, dass diese Tiefe kein Ende hat, dass darin so viele Schichten und eine Komplexität steckt, dass die Lust und das Interesse daran wohl nie versiegen werden.
Und falls doch, werde ich Tontöpfe machen und Socken stricken. :)
In der inneren Arbeit gibt es kein Ziel, das erreicht werden muss. Das ist meine tiefe Überzeugung. Es ist ein Prozess der Wiederverbindung mit dem Leben in dir selbst und ein Prozess der Vertiefung deiner Beziehung zu dir selbst und anderen.
Es ist ein Prozess der Erweiterung des inneren Raums und der Fähigkeit, verschiedene Erfahrungen und Gefühle in sich selbst zu verarbeiten, damit präsent zu bleiben und sich Mitgefühl zu schenken. Daraus entwickelt sich automatisch die Fähigkeit, mit anderen und mit der Welt mitzufühlen und präsent zu sein.
Wenn du diese Arbeit nicht als Leistung siehst um ein Endergebnis in Form von „absolutem Glück“ zu erreichen, sondern als einen Prozess des Eintauchens und Erforschens des Lebens durch dich selbst, dann kann das deine innere Haltung völlig verändern. Es kann dir ermöglichen, zu erkennen, dass du nicht ein Gerät bist, das repariert werden muss, sondern ein vieldimensionales, vielschichtiges, komplexes Wesen mit einem besonderen Lebensmuster. Dass du dieser Prozess des Erforschens des Lebens bist.
Wenn ich mich als einen immer werdenden, sich entwickelnden und verändernden Prozess sehe, liegt für mich eine große Entspannung darin und es gibt nichts mehr zu erreichen. Ich bin schon da. Es gibt mir die Kraft, Raum für diese Komplexität und Vielschichtigkeit in mir selbst und anderen zu erweitern und wahrzunehmen, dass es eine größere Ordnung gibt mit dem ich im Einklang leben kann.
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Roger (Montag, 12 August 2024 19:22)
Das finde ich sehr schön geschrieben.
Danke!